taz, 9. Mai 1987 2005
(to July 1987 response by Horst Mahler; to Anders Links Page; Günther Anders Main Page)

REICHT DER GEWALTLOSE PROTEST?

von Günther Anders

§1 Der Verrat

Das vorrevolutionäre Stadium unserer aus bloß sentimentalen und symbolischen Scheinhandlungen bestehenden Proteste gegen die Vorbereitung der Totalvernichtung gehört nun wohl der Vergangenheit an. Dieses Stadium der Gewalt - also der Harmlosigkeit zu verlassen, widerspricht zwar allen unseren, jedenfalls allen meinen privaten, seit dem Ersten Weltkrieg unbeirrbar durchgehaltenen, sogar für unverletztbar gehaltenen Grundsätzen und Tabus und versetzt mich in einen Zustand, den zu schildern ich keine Lust habe;

wenn aber, wie vor einiger Zeit geschehen, einer der heutigen Weltherrscher vor dem Mikrophon seinen Scherz damit treiben kann, daß er lächelnd verkündet, er habe gerade die Anweisung gegeben, die Sowjetunion atomar anzugreifen; und wenn sein Publikum ihn wegen dieser seiner gutgelaunten Abgeschmacktheit kollektiv ins Herz schließt, dann ist - denn es gibt keine ernstere Gefahr als den Unernst von Allmächtigen - ein neues Benehmen unsererseits erforderlich; dann haben wir uns jede weitere Höflichkeit oder Zurückhaltung zu verbieten. Heute noch sanft oder urban zu bleiben, bewiese nicht nur Unernst, sondern Feigheit und liefe auf Verrat an den Nachkommen heraus. Gegen die bedrohlichen Monstra, die, während die Bäume absterben, in den Himmel wachsen, um die Erde morgen zur Hölle zu machen - gegen diese Monstra hilft kein "gewaltloser Widerstand", die können nicht fortgeschwatzt oder fortgebetet oder fortgefastet oder fortgestreichelt werden. Dies um so weniger, als ja diejenigen, die diese Monstra befürworten und installieren, die "Zimmermänner von heute", in jedem Widerspruch unsererseits, auch im loyalsten, schon Widerstand sehen und in jedem Widerstand, auch im symbolischsten, Gewalttätigkeit.

Nein, nun müssen wir damit beginnen, die bei uns installierten Monstra, die eine pausenlose, dinggewordene Angriffsdrohung gegen uns, gegen die Menschheit, also einen globalen Notstand darstellen, da sie ein Chaos schaffen würden bzw. die Welt in ein Chaos zurückzustoßen drohen - nun müssen wir damit beginnen, diese Monstra in physischer Notwehr anzugreifen und systematisch unverwendbar zu machen.

§ 2 Das Neue ist das Moralische

Aber selbst das reicht noch nicht aus. Auch dieser Entschluß könnte sich als sinnlos, nämlich als sinnlos bescheiden erweisen. Denn zu groß ist die Differenz zwischen der Enormität bzw. der technischen Perfektion der Vernichtungsinstallationen (inklusive sie schützender Polizeiwaffen) und der Primitivität unserer Gegenwaffen: der (man staune!) noch manuell zu bedienenden Miniatursägen, der Drahtscheren und der Schraubenschlüssel. Das "man staune!" habe ich deshalb dazwischen gerufen, weil in den Augen der Machthaber, der Gewalthaber, schon diese Primitivität der Waffen beschämend ist, eine lächerliche oder sogar beleidigende Zumutung. In anderen Worten: Deshalb, weil sie davon überzeugt sind, ernst zu nehmen seien allein konkurrenzfähige Geräte, also bis zum höchsten technischen Raffinement entwickelte Waffen. Das technisch Primitive gilt ihnen als etwas in jeder, sogar in sittlicher Hinsicht Indiskutables. Daher sind sie des festen Glaubens, daß Tränengas aus der Luft in die Augen von Hunderten zu spritzen moralischer sei als vom vulgären Boden aus Steine zu werfen; daß also die modernste Art des Tötens auch die untadeligste sei. Umgekehrt gilt: Durch den Messerstich eines Demonstranten verletzt zu werden (statt durch eine brandneue Neutronenbombe), das wäre in ihren Augen wohl altfränkisch, auch ehrenrührig. Als Mitglied des ausgehenden zweiten Jahrtausends hat man schließlich Anspruch darauf, mit Waffen bekämpft zu werden oder durch Waffen umzukommen, die moderner sind als geschleuderte Steine. "Stirb progressiv!"

§ 3 Reicht das Töten toter Dinge?

Das technische Gefälle zwischen den kolossalen feindlichen Angriffswaffen (und auch den, diese beschützenden, höchst modernen Polizeiwaffen*) einerseits und den von den Demonstranten eingesetzten Gegenwaffen (sofern man diese überhaupt "Waffen" nennen darf; sie sind vielmehr Objekte gewordene Hilfeschreie) andererseits ist so groß, daß wir für den Defätismus jener, die eine physische Auseinandersetzung für schlechterdings aussichtslos halten, Verständnis haben dürfen. In der Tat ist ja dieses Gefälle ebenso groß wie etwa das zwischen den Feuerwaffen der Kolonialmächte und den Bambuspfeilen der sich verzweifelt und vergeblich verteidigenden Kongolesen im vorigen Jahrhundert. Auch damals hat ja die technische Differenz die Weltgeschichte entschieden, natürlich zu Ungunsten der technisch Unterlegenen. Verglichen mit den Machtinstrumenten und der Gewalt unserer Gegner wäre oder ist auch unser, sich auf deren tote Objekte beschränkender Gewalteinsatz kaum mehr als bloße Aktionssymbolik. Wer weiß, ob nicht durch die monströse Entwicklung der Technik (die man freilich selbst eine "Revolution" nennen darf, sogar vielleicht die bis heute wichtigste) die Möglichkeit politischer Revolutionen zum Verschwinden gebracht worden ist, was freilich wiederum eine Revolution darstellen würde, ein welthistorisches Ereignis, wenn auch ein negatives, etwa wie das Aussterben von Tierarten.

Auch bleibt der Grundsatz, nur ohnehin tote Dinge zu attackieren oder zu "töten" (was das Optimum ist, das Halbherzige einräumen), ganz unzulänglich und wirkungslos. Und das nicht nur deshalb, weil, wo immer wir die enormen Objekte attackieren, wir kaum mehr zustande bringen, als nur ihren Lack anzukratzen. Nein, was die Beschränkung auf die Beschädigung oder Zerstörung dieser toten Dinge (in denen die Tötung von Millionen lauert) vor allem unzulänglich und sinnlos macht, ist die Tatsache, daß diese, wie alle Produkte im heutigen Zeitalter der Massenproduktion, jederzeit problemlos und schnellstens ersetzt werden können; ihre Zerstörung ist mithin sinnlos. Dazu kommt, daß es heute von jedem Produktionstyp grundsätzlich zu viele Exemplare gibt, daß der Konsum ja nirgends mit den Bedürfnissen der Produktion Schritt hält, was die Produkte gewissermaßen unvernichtbar, feierlich ausgedrückt: unsterblich macht. Deshalb ist die Drohung, diese zu beschädigen, nur dann wirksam und sinnvoll, wenn wir außerdem oder an erster Stelle den an der Herstellung, der Installierung und dem eventuellen Einsatz dieser Geräte Interessierten unmißverständlich erklären, daß dasjenige, was wir bis jetzt (höchstens) ihren Produkten zugedacht haben (das Wort "angetan" wäre zu prahlerisch), daß das nur die Vorankündigung dessen gewesen ist, was wir auch ihnen selbst anzutun gezwungen sein werden. Da sie uns pausenlos terrorisieren, könnte es geschehen, daß auch sie einmal pausenlos eingeschüchtert werden und sich in acht nehmen werden müssen. Jeder von ihnen, einer nach dem anderen, in nicht voraussehbarer Reihenfolge. Damit unseren Kindern und Kindeskindern das Uberleben gesichert werde. "Werde" - nicht etwa "bleibe".

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*Wenn man von "Polizei" noch sprechen darf, denn die gegen Demonstranten eingesetzten Polizisten fungieren heute ja als Militär, als konterrevolutionär eingesetzte Bürgerkriegsarmee

§ 4 Das gebrochene Tabu

Diese letzten schrecklichen Worte schreibe ich nicht etwa leichtfertig nieder wie irgendeine andere beliebige Hypothese oder Einsicht oder Aufforderung. Schließlich hat mich seit siebzig Jahren, seit den ersten Augusttagen 1914, das Staunen der Tatsache, daß Menschen Mitmenschen töten, sogar gern töten können, nicht verlassen. Schon als Knabe habe ich dieses Verbum nur zögernd aussprechen können, so als wäre schon der Laut selbst so mörderisch wie das Tun. Und seit meinen ersten Schreibversuchen hat es wohl nur wenige Seiten gegeben, durch die nicht das Grauen vor dem Töten hindurchgegeistert wäre.

Daher erfüllt es mich natürlich mit Schrecken und Ungläubigkeit, daß ich nun dieses Wort nicht nur niederschreibe, sondern niederschreiben muß, weil es keine andere Rettungsmethode gibt als die, die Drohenden zu bedrohen. Denen, die mich dazu zwingen, das Tötungstabu zu brechen, werde ich das niemals vergeben können.

Ich verlange und ich habe ich Recht darauf zu verlangen, daß man mich nicht der Leichtfertigkeit zeihe, wenn ich zum Schluß wiederhole: Es gibt kein Alternativmittel, kein anderes als diese Drohung, wenn wir das Überleben unserer Generation und das der von uns erhofften künftigen Generationen zu sichern wünschen, als diejenigen, die darauf insistieren, die atomare Gefährdung des irdischen Lebens (gleich ob die "kriegerische" oder die angeblich "friedliche") fortzusetzen und grundsätzlich Stopp-Angebote abzulehnen - es gibt keine andere Alternative, als diesen Männern ausdrücklich mitzuteilen, daß sie sich nun, einer wie der andere, als Freiwild werden betrachten müssen.

Voll Schmerz, aber entschlossen erkläre ich daher: Wir werden nicht davor zurückscheuen, diejenigen Menschen zu töten, die aus Beschränktheit der Phantasie oder aus Blödheit des Herzens vor der Gefährdung und Tötung der Menschheit nicht zurückscheuen.


taz vom 16. Juli 1987 (back to top) (archived from Internet Archive)

HORST MAHLER

"IST DEIN MUT ZU TÖTEN WIRKLICH SO GROSS?"

Offener Brief von Horst Mahler an den Philosophen Günther Anders

GüntherAnders,

hättest du 1970 aufgerufen, Strauß niederzuschießen, Genscher in die Luft zu sprengen, Schmidt mit dem Hubschrauber abstürzen zu lassen, Polizeibeamte zu lynchen - du wärest für mich ein Prophet gewesen.

Spät kommst du.

Heute erkenne ich dich. Und du - erkennst du dich?

Wo suchst du Reagan? ImWeißen Haus - nicht in dir?

Hitler war der, der er war, nicht aus eigener Machtvollkommenheit. Unser Volk hat ihn zu dem gemacht.

Du bist auch Hitler und Himmler. Wir alle sind es. Indem wir zuweilen einen einzelnen Menschen als unseren Führer auf den Schild erheben, veranschaulichen wir uns nur, was wir selbst auch sind.

Der Mensch ist zu allem fäbig. Auch du.

Du bist jetzt ein Schreibtischmörder.

Doch: was immer dich empört, schuld sind nicht "die anderen". VON DIR IST DIE REDE.

Wer Brot ißt, schafft den Bäcker. Wer sich mit Plastik umgibt, nährt die Chemiegiganten.

Weil unsere Schwäche für das bequeme Leben größer ist als unsere Furcht vor künftigem Siechtum, halten wir uns Politiker, die die Gefahren hinter Lügen verbergen. Wir sind süchtig nach solchen Lügen. Deshalb ist Kohl Kanzler. Wenn du ihn tötest, was hättest du gewannen?

Warum beschwörst du die Raketenmonster? Schließlich hat die noch niemand abgefeuert. Es genügt doch, daß der Wald stirbt; denn stirbt der Wald, stirbt auch der Mensch.

Wen wirst du nicht alles töten müssen, wenn sich hier etwas ändern soll ? Und mit jedem Mord werden es mehr, die sich dir in den Weg stellen. Du mußt sie alle töten. Ist dein Mut zu töten wirklich so groß?

Du mußt ja siegen, wenn du nicht als Hitler II. in die Geschichte eingehen willst. Nur Sieger schreiben die Geschichtsbücher.

Ich erinnere, wann mich der Mut zu töten verlassen hat. Das geschah, als sich die Landsknechte in der RAF - versessen darauf, zu töten - darüber stritten, wer von ihnen einen verdächtig gewordenen Genossen erschießen darf. Damals verhinderte Abu Hassan, der Organisator des Olympiamassakers, was ich nicht mehr hätte verhindern können. Der "Verräter" hat den RAF-Faschismus überlebt. Gott sei Dank!

Du hast den Mund zu voll genommen. Du kannst dir einbilden, Menschen töten zu können, mit denen dich scheinbar nichts verbindet. Aber du kannst nicht mit einer Mörderbande leben - und das wäret ihr doch mit deinem Programm.

Weißt du denn, was das heißt? Ihr würdet euch für die Sendboten des Neuen Menschen halten und zugleich - ein jeder im anderen - als Satan erkennen. Du würdest deine letzte Hoffnung verlieren und in Verzweiflung sterben, nicht ohne vorher die Menschheit zu verfluchen, die du doch retten wolltest.

Vergangenheit und Zukunft begrenzen die Bühne, auf der wir unser Leben spielen - ein Stück, das ohne die diabolischen Charaktere uns nicht zur Einsicht verhülfe und langweilig wäre. Kann das Wohl und Wehe der noch Ungeborenen die Rechtfertigung sein für den von dir propagierten Völkermord an den Phantasiearmen und Blödherzigen?

Über sehe ich da was? Kannst du mir das erklären in aller Öffentlichkeit?

Du, Günther Anders - Philosoph und Schriftsteller, bist der Herold des spirituellen Rassismus, stehst an der Rampe und selektierst. Wer seid ihr, die ihr die Menschen töten wollt, die nach eurem Urteil die Menschheit gefährden?

Wer spricht in eurer Runde die Todesurteile?

Laßt ihr eine Verteidigung zu?

Oh mein Gott - was ist das für eine braune Soße, die da aus deiner Feder geflossen ist!

Horst Mahler, 3. Juli 1987


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