Süddeutsche Zeitung
Freitag, 28. Januar 2000
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„Begreifen heißt anfassen"

Im „Bunker" leiden die Besucher mit

14 MILLIONEN MARK FÜR AUTHENTISCHE DARSTELLUNG / ERSTER SCHRITT ZUR NEUGESTALTUNG DER KZ-GEDENKSTÄTTE DACHAU

Von Felicitas Amler
Dachau - Der erste und wichtigste Schritt zur Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau ist getan: Gestern präsentierte Kultusministerin Monika Hohlmeier der Öffentlichkeit die neue Ausstellung im „Bunker", dem ehemaligen Lagergefängnis, und das sanierte „Jourhaus". Durch dieses Gebäude mit der Inschrift „Arbeit macht frei" im schmiedeeisernen Tor musste jeder Häftling das Konzentrationslager betreten; es wird künftig auch der Eingang für die jährlich rund 700 000 Besucher der Gedenkstätte sein. Zwei wesentliche „authentische Orte" im ehemaligen Lager sind damit 55 Jahre nach der Befreiung erstmals öffentlich zugänglich.

„Authentizität" ist das Schlüsselwort bei der 14 Millionen Mark teuren Neugestaltung der Gedenkstätte, die vor vier Jahren von einem wissenschaftlichen Fachbeirat unter Vorsitz des Historikers Wolfgang Benz konzipiert wurde und vom Freistaat mit Unterstützung des Bunds finanziert wird. Historische Erinnerung sei „nirgendwo beklemmender und eindrucksvoller als am authentischen Ort", sagte Benz gestern. André Delpech, Präsident des Internationalen Dachau-Komitees, unterstrich dies mit Blick auf das „Jourhaus" und dessen zynische Inschrift: „Ich empfinde eine starke innere Bewegung, wenn ich wiederum, und diesmal nicht unter Zwang, vor diesem Eingang stehe", sagte er auf französisch, und das Einzige, was er dabei deutsch sprach, war das Zitat „Arbeit macht frei".

Der Bunker, in dem nun die erste neue Ausstellung gezeigt werden kann - die Hauptausstellung soll bis November 2001 fertig sein - , war das Gefängnis innerhalb des Gefängnisses. Prominente Häftlinge wurden dort gefangen gehalten, der Hitler-Attentäter Georg Elser, dessen Zellen jetzt gezeigt werden, die Geistlichen Johannes Neuhäusler und Martin Niemöller. Das 196 Meter lange Gebäude mit seinen 137 Zellen wird von den an der Neukonzeption beteiligten Institutionen - Gedenkstättenleitung, Landeszentrale für politische Bildung, Haus der Bayerischen Geschichte und Staatliches Hochbauamt - als „zentraler Ort des Terrors im KZ" bezeichnet. Die Ausstellung illustriert dies durch Informationstafeln und viel biographisches Material. Erstmals kann Besuchern die Funktion des Bunkers an Ort und Stelle verdeutlicht werden, etwa dass im Bunkerhof Exekutionen und Lagerstrafen - Prügeln und Pfahlhängen - vollzogen wurden oder die Folter von Gefangenen, denen Geständnisse abgepresst werden sollten.

Die Ausstellung im „Bunker" zeigt auch, mit welchen Mitteln die Gedenkstätte insgesamt modernisiert werden soll: In einer „Hörstation" können Häftlingsberichte in neun Sprachen angewählt werden; in drei Zellen werden Zitate an die Wände projiziert, und auch im Internet wird die Ausstellung bereits präsentiert.

Museumspädagogisch und gestalterisch soll die KZ-Gedenkstätte künftig auf neuestem Stand sein, insbesondere um Jugendlichen die Geschichte besser zu vermitteln und die Auseinandersetzung mit ihr zu erleichtern. Gedenkstätten seien „als politische und ethische Bildungsstätten von herausragender Bedeutung", betonte Kultusministerin Hohlmeier gestern: „Das emotionale Lernen, das die Konfrontation mit den authentischen Orten ermöglicht, ist durch nichts zu ersetzen." Bei der Ausstellung im ehemaligen Bunker, so ergänzte Manfred Treml vom Haus der Bayerischen Geschichte, sei es daher um „die Vergegenwärtigung menschlichen Leids" gegangen.

Die Wissenschaftler waren sich bei der Neukonzeption jedoch einig, auf Rekonstruktionen und Inszenierungen zu verzichten. „Es galt, den Verfall zu stoppen und die historische Substanz zu sichern", sagte Michael Baumann, der Leiter des Staatlichen Hochbauamts Freising. Beim „Bunker", der noch bis zum Jahr 1972 von der US-Army genutzt worden war, erwies sich dies als schwierig. So war zum Beispiel der Originalanstrich der Wände durch Schichten von Öl- und Leimfarben aus der Nachkriegszeit überdeckt; die völlige Wiederherstellung des historischen Zustands war damit praktisch unmöglich. Nach Baumanns Überzeugung ist der ehemalige Bunker dennoch nach der Sanierung „ein Ort, an dem das Unfassbare räumlich erfahren werden kann". Denn, so sagte er: „Begreifen heißt anfassen."

Als weitere Schritte zur Neugestaltung der Gedenkstätte sind die Eröffnung des ersten Teils der Hauptausstellung im Januar 2001 und des zweiten Teils im November 2001 geplant. Michael Rupp, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, versprach der Kultusministerin gestern, diesen Terminplan strikt einzuhalten. Dem Internationalen Dachau-Komitee versicherte er: „Der Rat der ehemaligen Häftlinge wird uns weiterhin vorrangiger Auftrag bleiben."